Friday 5 December 2014

Silber und Gold


Für die Frau Käuzin

An einem ganz besonderen Tages wurde der Müllers Familie ein Mädchen geboren. Sie war ein wunderschönes Baby und etwas ganz besonders, denn die Familie hatte bislang nur sechs Jungen. Und weil sie so etwas besonderes war, nannten sie sie Aurelia, die Goldene. Als Aurelia heranwuchs erfüllte sie all die Erwartungen, die ihr Name schon vorhergesagt hatte. Auf ihrem Kopf wuchsen verschwenderische goldene Locken, sie war meist guten Mutes und sie brachte Sonnenschein zu allen, denen sie begegnete. Nur eins war nicht so golden, ihr Temperament oder man könnte auch sagen, sie hatte ihren eigene Kopf. Wenn die Dinge nicht so liefen, wie sie es wollte oder wenn sie gebeten wurde, etwas zu tun, das ihr nicht passte, dann schob sich vor ihre Unterlippe zu einem Flunsch, ihre Arme kreuzten sich vor ihrer Brust und sie stampfte mit dem Fuß auf, dass die Locken nur so hüpften. Nicht dass sie das all zu oft machen musste, denn ihre sechs Brüder vergötterten sie und für ihre Eltern war sie ihr kleiner wunderbarer Sonnenschein.


Nur wenige Stunden zuvor hatte oben auf dem Hügel im Schloss ein anderes kleines Mädchen das Licht der Welt erblickt. Auch sie war etwas ganz besonderes, war sie doch die Tochter des Königs und der Königin, die nach vielen vergeblichen Versuchen schon alle Hoffnung auf Nachwuchs aufgegeben hatten.

Dieses kleine Mädchen jedoch war das genaue Gegenteil von Aurelia. Sie war ein sehr zartes Kind mit silberblondem Haar, strahlend blauen Augen, einer durchsichtigen rosigen Haut und einem nachgiebigen Naturell. Die königlichen Eltern nannten sie Selene nach dem silbernen Licht des Mondes.

Die zwei kleinen Mädchen waren wie Tag und Nacht. Wo Aurelia einen Wutanfall bekam blieb Selene ruhig, nur ihre großen, blauen Augen weiteten sich noch mehr, ihre Unterlippe fing an zu zittern und einen Moment später rollte eine einzige perfekte runde Träne ihre zarte Wange hinunter. Und glaubt mir, dieser Trick funktionierte jedes Mal.

Selene entwickelte sich zu einem sehr häuslichen Kind. Sie liebte alle Arten von Handarbeiten. Sie hatte ein besonderes Talent für die Stickerei und eine Vorliebe fürs Kochen. Im zarten Alter von drei Jahren knetete sie mit ihren Patschhändchen ihren ersten Mürbeteig und ob ihr’s glaubt oder nicht, die Kekse waren besser als alles, was die Hofköchin mit ihrer jahrelangen Erfahrung je zustande gebracht hatte. Mit acht war Selene bereits die beste Konditorin weit und breit. Diese Leidenschaft ging natürlich nicht spurlos an ihrem Körper vorüber und auch wenn sie weiterhin eine Schönheit blieb, so war dies doch eher die Schönheit einer vollerblühten Pfingstrose denn die einer zarten Apfelblüte.


Aurelias Leben hingegen entwickelte sich anders. Das Heranwachsen mit sechs lebhaften Brüdern in einer geschäftigen Mühle war eine ganz andere geartete Herausvorderung. Sie lernte es, sich mit den Brüdern geistig und körperlich zu messen, sich durchzusetzen und fit und erfinderisch zu sein. Mit den Jahre stieg sie in das Familienunternehmen ein, hatte die Oberaufsicht für das Warenlager, führte die Bücher und verhandelte mit den Kunden. Sie war schlau und wusste zudem ihr Aussehen und ihr Temperament zu ihrem Vorteil zu nutzen und so wurden innerhalb weniger Jahre aus einer Mühle erst zwei, dann drei und schließlich fünf.

Aurelia war glücklich und fühlte sich ganz in ihrem Element bis, ja, bis ihre Eltern sich mit ihr zu einem ernsten Gespräch hinsetzten.

‘Meine liebe Tochter,’ sagte der Müller. ‘Die Mutter und ich haben uns unterhalten und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass du für deine Zukunft planen musst oder um es kurz zu machen, du musst heiraten.’

Für einen Moment war Aurelia sprachlos. Dann verengten sich ihre Augen, ihre Unterlippe schob sich vor zu einem Flunsch, ihre Arme kreuzten sich vor ihrer Brust. Aber bevor sie mit dem Fuß aufstampfen konnte, sagte die Müllerin: ‘Liebling, bitte, wir meinen’s doch nur gut. Ein Mädchen braucht einen Ehemann um sicher und versorgt zu sein und Babys damit sie glücklich ist. So, wie deine Brüder!’

Bumms, machte der Fuß auf dem Holzboden. ‘Oh, ja, die haben alle Ehefrauen,’ Aurelias Augen blitzten. ‘Und schaut sie euch bloß an, Grete ist zum fünften Mal in fünf Jahren schwanger, Martha ist immer nur am nörgeln, Anna gibt mehr Geld aus, als Peter verdient, Katie ist fett wie eine Zuchtsau und die beiden anderen sind auch bloß hübsch und dumm. So will ich niemals werde.’

Völlig perplex und mit offenen Mündern starrten die Müllersleute Aurelia an. Und so fuhr sie fort: ‘Und bedenkt, hier in der Mühle bin ich glücklich und so soll es auch bleiben.’   


Aber so blieb es nicht, denn die Müllersleute waren von ihrem Plan nicht abzubringen. Bald fanden sich regelmäßig heiratswillige Freier in der Mühle ein, was ja auch kein Wunder war, bedenkt man die Schönheit Aurelias und die Höhe der Mitgift. Womit aber niemand wirklich gerechnet hatte waren Aurelias Temperament und das entpuppte sich als gute Abschreckung. Denn welcher Freier will schon ein Weib mit einer eigenen Meinung. 

Aber es gab auch den ein oder anderen, der so ein gutes Angebot nicht missen wollte oder die Situation als Herausforderung sah. Wie dem auch sei, Aurelia verstand es auch diese zu entmutigen, den Schmied zum Beispiel, indem sie ihn im Armdrücken besiegte und den Bäckerjungen mit seinen all zu forschen Händen, indem sie ihren Stiefelabsatz kräftig auf seinen Spann rammte. Dem jungen Schneider machte sie klar, dass sie niemals jemanden heiraten würde, der keine hundert Meter laufen konnte ohne zu japsen. Aber dieses ständige Theater war doch sehr ermüdend.


Selene hatte zur gleichen Zeit die gleichen Probleme. Ihr häusliches Wesen interessierte sich so gar nicht für Politik und regieren war ihr ein Gräuel. Aber das Reich brauchte ja einen zukünftigen Herrscher. So beschlossen ihre Eltern ihr einen Ehemann zu suchen, der dann die Regierungsgeschäfte in die Hand nehmen würde. Sie waren fest davon überzeugt, dass sie ihrer Tochter damit einen Gefallen taten, denn schließlich war Selene eine gute Köchin und sehnte sich deshalb auch automatisch nach einer Familie und Kindern. 

So ließ der König denn verbreiten, dass seine Tochter einen passenden Ehemann suche. Und die Prinzen kamen in Scharen. Und sie gingen auch in Scharen. Da Selene ja eine so begnadete Köchin war, wusste sie natürlich auch, wie man abscheuliche und abschreckende Gerichte kochte, mit Zutaten, die zudem Unwohlsein und Bauchschmerzen verursachten. Und wenn das nicht Abschreckung genug war, ließ sie in einer ruhigen Minute kleine Hinweise betreffs der desaströsen staatlichen Finanzen und der Erbkrankheiten, die in den männlichen Linien weitergegeben wurden, fallen. 


Und so verging die Zeit ohne dass Selene oder Aurelia dem Traualtar auch nur einen Schritt näher kamen. 


Doch dann wurde das Land plötzlich in eine wirkliche Krise gestürzt. Ein feuerspeiender Drache terrorisierte die Grenzen des Königreiches. Der König schickte seine Armee aus, das Monster zu bekämpfen, doch ohne Erfolg. All seine tapferen Ritter und Soldaten schafften es nicht, das Untier zu besiegen. Der König war mit seinem Latein am Ende. 

‘Warum schickst Du keinen Drachentöter, Papa,’ fragte Selene ihn, als er wieder einmal beim Mittagessen vor lauter Sorge keinen Bissen hinunterbrachte.

Gesagt, getan. Herolde wurden in die Welt geschickt um auszurufen, dass der König einen Drachentöter suche und dieser zum Lohn die schöne Prinzessin zur Frau bekäme und die natürlich damit Aussicht, das Reich zu regieren.


Das war die Gelegenheit, auf die Aurelia gewartet hatte. Sie machte sich umgehend zur Burg auf. Dort stellte sich an die lange Schlange der hoffnungsvollen Helden an, die sich schon vor der Zugbrücke angesammelten hatten. Und die Schlange wurde länger und länger. Als schließlich die Zugbrücke heruntergelassen wurde, begaben sich fünfzig mehr oder weniger stramme, junge und weniger junge Burschen und eine Frau in den große Thronsaal. 

An der Stirnseite des Raumes saß der König auf seinem prunkvollen Thron, zu seiner Rechten die Königin und zu seiner Linken die Prinzessin Selene. 

Es bedurfte nur eines kurzen Blickes seitens Aurelias auf die Prinzessin und sie war hin und weg. Noch nie in ihrem Leben hatte sie ein so holdes, wunderschönes, liebreizendes Geschöpf gesehen. Das silberne Haar, welches von innen leuchtete, als würde der Mond hindurchscheinen, die rosigen Rundungen der prallen Wangen, die in ihrer Zartheit den besten weißen Pfirsichen glichen, die je ein Mensch gekostet hatte, der sinnliche, in feinste Stoffe in Schattierungen von rosa und weiß gehüllte Körper und nicht zuletzt die tief blauen Augen, die wie ein sonnenbeschienener Teich schimmerten. 

Mit offnem Mund starrte Aurelia dieses fast übernatürliche Wesen an, taub für die Welt um sie herum. Als also die Kandidaten gebeten wurden sich in geordnete Reihen aufzustellen, blieb Aurelia wie festgewachsen mitten vor dem Thron stehen.

Und glaub mir, Selene war in gleichem Maße bezaubert. Nie zuvor hatte sie so eine lebendige, selbstbewußte Frau gesehen. Diese goldenen Locken, die wie Schlangen um das strahlende Gesicht herumtanzten, der durchtrainierte Körper in der grünen Joppe und den engen, braunen Reithosen und nicht zu vergessen die zuversichtliche Haltung. Selene konnte ihre Augen nicht von Aurelia abwenden.

So kam es, dass Aurelia die Ansprache des Königs verpasste und erst seine letzten Worten: ‘… natürlich keine Frauen bei diesem Unterfangen’, sie aus ihrer Trance rissen

Aurelia schnappte nach Luft, dann schob sich ihre Unterlippe wie von selbst hervor, ihre Arme kreuzten sich vor ihrer Brust und sie konnte sich gerade noch soweit beherrschen, dass sie nicht mit ihrem Fuß auf dem Marmorboden aufstampfte. Aber die Worte: ‘Und warum nicht?’ konnte sie nicht mehr zurückholen.

Die versammelte Menge schnappte nach Luft. Ein Moment dröhnender Stille folgte. Dann ein perlendes Lachen. Selene blinzelte Aurelias zu, nickte aufmunternd mit dem Kopf und wandte sie sich zum König. Nun änderte sich ihr Gesichtsausdruck schlagartig. Ihre großen blauen Augen weiteten sich noch mehr, ihre Unterlippe fing an zu zittern, eine einzelne perfekte runde Träne rollte ihre Wange herunter und mit zittriger Stimme piepste sie: ‘Papa, bitte?’ 


Und es wird Euch wohl kaum verwundern, dass Aurelia sich am nächsten Tag auf dem besten Streitross des Königs auf dem Weg zur Grenze befand. ‘Was bin ich froh, dass mich meine Brüder das Reiten gelehrt haben,’ dachte sie unterwegs, denn das Pferd war riesig und sehr temperamentvoll. Sie ritt mehrere Tage und sah mehr und mehr Verheerung, die der Drache angerichtet hatte. Sie kam an verbrannten Feldern, zertrampelten Dörfern, umgeknickten Bäumen und verängstigten Menschen vorbei.

Und wurde sie nach ihrem Begehr gefragt, antwortete sie jedes Mal stolz: ‘Ich bin hier um euch von dem grausigen Drachen zu befreien.’ Meist wurde sie dann ausgelacht, aber Aurelia ließ sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen.

An einem späten Nachmittag kam sie schließlich am Fuße der Berge an, wo man sagte, dass der Drache seine Höhle habe. Sie ließ ihren Blick suchend über die Felswände streifen und entdeckte am Ende unter einem Felsvorsprung ein gähnendes schwarzes Loch, den Eingang zur Drachenhöhle. Aurelia führte ihr Pferd in ein nahegelegenes Waldstück und band es dort an einen Baum. Dann begab sie sich zurück an den Waldrand um nach dem Ungeheuer Ausschau zu halten.

Sie wartete und wartete. Als die Sonne schon hinter den Bergrücken verschwunden war, hörte sie endlich das laute Rauschen mächtiger Flügel und einen noch lauteren Streit.

‘Das ist sooo falsch,’ rief eine rauhe Stimme.

‘Na und,’ antwortete eine andere. ‘Du gehörst mir und tust, was ich dir sage.’

‘Aber es ist nicht OK. Diese Leute sind sowieso schon arm. Da müssen wir nicht auch noch ihre Bauernhöfe zerstören.’

‘Krieg dich wieder ein, es ist doch lustig,’ und ein gemeines Lachen folgte. ‘Hast du gesehen wie die Idioten heute gerannt sind?’ 

‘Ja, hab ich und ich fand’s furchtbar.’

‘Na, dann mach doch was dagegen. He, he, he, he, he. Oh, ich vergaß, du kannst ja nicht. He, he. Ich hab ja gegen dich im Würfeln gewonnen.’

‘Ich weiß, ich war ein Idiot. Wenn ich damals gewusst hätte, was ich jetzt weiß, hätte ich nicht gegen dich gespielt.’


Aurelia sah wie der große Drache mit seinem Reiter genau vor der Höhle landete. Kurz darauf verschwanden beide im Inneren und bald brannte ein Feuer im Eingang.


Spät in der Nacht schlich Aurelia vorsichtig zur Höhle. Aber nicht vorsichtig genug. Eine tiefe Stimme zischte: ‘Du dumme Gans. Was willst du hier?’

Aurelia riss ihren Kopf herum und starrte erschreckt direkt in die gelben, weit offenen Reptilienaugen. Sie sprang zurück und wenn der Drache sie nicht mit seinen langen Krallen blitzschnell gepackt hätte, wäre sie glatt den Hang hinuntergefallen.

‘Pass auf, du Zwerg. Willst du dich zu Tode stürzen?’ zischte der Drache.

‘Nein, äh, ich, äh, also, ja, äh …, also,’ sprudelte es plötzlich aus ihr heraus, ‘also, ich bin hier um dich zu überreden, die armen Bauern endlich in Ruhe zu lassen.’

Ein Rumpeln, wie ein Lachen, kam aus den Tiefen des Drachen und dann eine Stichflamme. ‘Oh, pardon, Sodbrennen,’ zischte das Biest. ‘Der Idiot, dem ich gehöre, gibt mir kein Bier. Die einzige wirksame Medizin für dieses elende Leiden.’

‘Ich habe gehört, du hast gegen ihn beim Würfeln verloren?’

‘Ja, ich Idiot dachte, dass ich gegen ihn gewinnen könnte. Aber Pustekuchen, er hat betrogen, gezinkte Würfel.’

‘Und warum rennst du nicht einfach weg oder frisst ihn. Ich meine, du bist doch so viel größer als er.’

‘Geht nicht. Verlieren ist wie ein Fluch. Den kann ich nur lüften, wenn ich gegen ihn gewinne.’

‘Selbst wenn er betrogen hat?’

‘Ja, selbst wenn er betrogen hat.’

‘Na, dann musst du halt beim nächsten Mal gewinnen.’

‘Funktioniert nicht, er betrüg jedes Mal wieder.’

‘Hmm, lass mich überlegen.’  Aurelia zog ihre Stirn in nachdenkliche Falten, verdrehte die Augen, schüttelte mit dem Kopf, schaute hierhin und dorthin, sah am Drachen rauf und runter und plötzlich hatte sie eine Idee.

‘Wir machen dir Ärmel,’ verkündete sie.

‘Super, und mit Ärmeln gewinne ich beim Würfeln, oder was?’

‘Aber ja, da kannst du deine eigenen gezinkten Würfel verstecken. Du hast doch welche, oder?’

‘Schon.’

‘Na siehste. Lass mich nur machen.’ Und ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, machte Aurelia sich an die Arbeit. Sie nahm ihr Reitcape ab und teilte es in zwei Hälften. Dann band sie die Stoffstücke mit ihren Schnürsenkeln fest an den Armen des Drachen. Jetzt fielen zwei bauschige Ärmel über die Drachenklauen.

Der Drache bedachte Aurelias Anstrengungen mit einem skeptischen Blicken. Dann wedelte er ein paar Mal mit den Armen, wiegte seinen großen Kopf und ein Lächeln begann seine lange Schnauze zu umspielen.

‘Könnte funktionieren,’ sagte er.

Inzwischen war es hell geworden und das anhaltende Schnarchen, das bisher aus der Höhle gedrungen war, wurde plötzlich von mehreren lauten Grunzern unterbrochen.

‘Er wacht auf, du versteckst dich besser, Mädchen. Und sofort nach dem Frühstück fordere ich ihn zu einem Spiel heraus.’


Hastig kletterte Aurelia den Hang hinauf und fand gleich oberhalb der Höhle eine Felsnische, in die sie sich kuschelte konnte. Hoffentlich geht bald die Sonne auf, dachte sie mit klappernden Zähnen. Ganz schön kalt so ohne meinen Mantel. So werde ich nie schlafen können. Aber sie musste dann doch eingenickt sein, denn ein lauter Freudenschrei weckte sie.

‘Ich habe gewonnen, gewonnen,’ dröhnte die Drachenstimme über das Tal. Und etwas leiser: ‘Wenn ich du wäre, würde ich jetzt aber ganz schnell ‘ne Fliege machen, du Aas, sonst verspeise ich dich mit einem Haps.’

Aurelia lächelte. Der Trick hatte funktioniert. So schnell sie konnte kraxelte sie zur Höhle hinunter. Dort angekommen, strahlte sie den Drachen an: ‘Gratuliere, und nun?’

‘Keine Ahnung, so weit habe ich noch gar nicht gedacht.’

‘Na wie wär’s. Komm doch einfach mit mir zum königlichen Schloss. Da könnte ich dich dann vorzeigen und die Prinzessin wäre mein.’

‘Na, das hättest du wohl gern.’

‘Oh ja. Du müsstest die Prinzessin mal sehen. Sie ist die schönste, hübscheste, klügste, hinreißendste, wunderbarste, …’

‘Au weia, dich hat’s wohl voll erwischt. Und du willst die Prinzessin wirklich heiraten.’

‘Aber natürlich. Sie ist die hinreißendste, schönste, klügste…’

‘Schon gut, schon gut. Ich hab’s begriffen. Ich komme mit und wir werden sehen. Übrigens, ich heiße Drakonia und du?’

‘Drakonia, aber ist das nicht ein Mädchenname?’

‘Ja, und? Nur zu deiner Information, es gibt auch weibliche Drachen. Wie würden wir uns denn sonst vermehren?’

Aurelia stutzte, errötete dann ein bisschen und stotterte: ‘Ja, äh, ja klar, ja, äh, so hab ich das noch nie gesehen.’ Dann streckte sie ihre Hand aus und sagte: ‘Ich heiße Aurelia. Schön dich kennenzulernen, Frau Drache.’

Die Drachin grinste und schüttelte vorsichtig die gebotene Hand.


Die Rückreise verging sehr viel schneller als der Hinweg. Aurelia war begeistert von ihrem Sitzplatz hoch auf dem Drachenrücken. Das Pferd dagegen weniger. Pferde reiten nicht wirklich gern und schon gar nicht auf Drachenrücken viele Meter hoch in der Luft.

Als die Menschen der Burg am nächsten Tag das laute Rauschen der Drachenflügel über sich hörten, dachten sie, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen. Zum Glück entdeckte eine Wache Aurelia auf dem Drachenrücken. Sie winkte von dort wie wild mit ihrem Drachenärmelcape und ein Diener wurde zum Schloss geschickt um dort die Rückkehr der erfolgreichen Drachenbezwingerin zu verkünden.


Während der Reise hatten sie in einem Gasthaus haltgemacht, wo Aurelia eine Pastete verspeiste und die Drachin ein halbes Schwein mit Kartoffeln verschlang und zwei Fässern Bier dazu trank. Die Drachenlieblingsspeise. So entwichen, als die Drachin nun beim Landen rülpsen musste, nur ein paar Speisedämpfe und überhaupt keine Flammen.

Kaum war Aurelia vom Rücken der Drachin heruntergeklettert, da schlangen sich auch schon zwei Arme um sie und eine honigsüße Stimme gurrte ihr ins Ohr: ‘Du bist zurück.’

Aurelia strahlte in Selenes Gesicht und hauchte zurück: ‘Ja.’ Und dann beugte sie sich nach vorn bis ihre Lippen vorsichtig und dann stärker die Selenes in einem Kuss berührten. Nach einer kurzen Pause beantworteten Selenes Lippen den Kuss. Die Menge brach in Jubel aus, denn dass ist es, was Menschenmengen in solchen Momenten tun.

Der König schaute die Königin an und sagte: ‘Ich glaube, uns steht eine Hochzeit ins Haus.’

‘Aber,‘ sagte die Königin. ‘Das sind doch beides Mädchen.’

‘Sicher, aber denkst du, dass wir uns gegen die Wünsche einer Drachenbezwingerin und einer Prinzessin stellen können?’


Und so wurde eine große Hochzeit gefeiert und sie lebten glücklich und friedlich für eine lange, lange Zeit.

Oh, und bevor ich’s vergesse. Die Drachin wurde Außenminister des Reiches und keiner wagte es mehr Krieg gegen das kleine Land zu führen. Denn wie Drakonia zu sagen pflegte: ‘Wenn ich das Bier weglasse, sagt ein kleiner Rülpser mehr als tausend Worte.’


©Lele Schirmeister, 2014

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